Achtzenhundertneunzig, Berner Oberland Ein armer Bauernhof, 'ne Frau hält einen Säugling in der Hand Man tauft ihn Fritz, und er ist die Nummer zehn Auf dem Gesicht der jungen Frau kann man ihren Kummer seh'n Die Jahre geh'n ins Land, in Sorgen und in Not Es gibt nicht viel zum Leben, es gibt Käse, Milch und Brot Aus hartem Schrot sind die Bauern, die hier um die Butter ringen Und als Kleinster muss Fritz den Pferden Futter bringen Die Schule ist nicht wichtig - zwei Jahre müssen reichen Solang man rechnen kann, kann man alles and're streichen Er ist ein stilles Kind, was soll bloss aus ihm werden? Und Freunde hat er keine - er kann nur gut mit Pferden! Neunzehnhundertvierzehn, Prinz Ferdinand ist tot Der grosse Krieg beginnt, Europas Erde färbt sich rot Auch die grossen Brüder nehmen nun Gewehr und Mützen Um das kleine bisschen Heimat vor dem Rest der Welt zu schützen Man hört, jenseits der Linien bei Saint-Ursanne und Laufen Liegen Menschen und Rosse auf grossen Leichenhaufen Da ist Fritz schon unterwegs, mit Rucksack und mit Stecken Für ihn ist eines klar: Pferde dürfen nicht verrecken! Was er dort wirklich sah, darüber hat er nie gesprochen Drei halbtote Stuten, nur noch Haut und Knochen Zieht er hinter sich, als er dem kleinen Hof zuwankt Und die Mutter dem Herrgott für sein Wiederkehren dankt Wie die Leute, die im Dorf am ander'n Tag dann lachten: "Die Rosse, die sind hin - die kannst du höchstens schlachten!" Aber Fritz sagt nur: "Das wird schon wieder werden!" Er konnte nicht mit Menschen - er konnte konnte nur mit Pferden! Und so holt er Tier um Tier aus Stacheldraht und Ketten Die Menschen lässt er liegen, nur die Pferde will er retten Wie wundersam bei ihm selbst die Kränksten noch genesen Dabei kann er doch nur rechnen - er kann nicht mal lesen! Doch er pflegt seine Tiere, die kaputten und die kranken Und verkauft dann die Gesunden zu gutem Geld in Franken Denn das Rechnen ist das Wichtigste - das sagte Vater gleich Und als der Krieg vorbei ist, ist er reich! Neuzehnhundertzwanzig, Fritz ist jetzt gemacht Wer hätte das gedacht, er hat's zu was gebracht Er hat 'nen eignen Hof und 'nen großen Viehbestand Und die allerschönsten Stuten im ganzen Oberland Er hat auch eine Frau, damit irgendwer am Herd ist Wenn auch für ihn ein Pferd bei weitem viel mehr wert ist Sie wirft ihm dreizehn Kinder, es überleben sieben Kind ist Kind und Frau ist Frau - aber Pferde kann man lieben Kind Nummer sechs kriegt zu essen und 'nen Namen - Er heisst Rudi und der Pfarrer sagte: "Amen!" Und damit ist es getan, und bald kann Rudi stehen Und ab dem Moment muss Rudi halt selber weitersehen Neunzehnneunddreissig, Rudi ist noch keine zwanzig Die nächsten Schüsse fall'n und bald darauf fällt Danzig Ein neuer Krieg beginnt und alles ist beim Alten Rudi steht im Kalten, um die Grenzlinie zu halten Die Winter, die sind lang, zu lang für kurze Lieder Selbst die Schwalben kommen diesmal meistens nicht mehr wieder Mutter ist sehr einsam und leidet an Beschwerden Und Fritz redet kaum - er spricht nur gern mit Pferden! Neunzehnsechsundvierzig, Mutter war sehr krank Sie haben sie begraben bei der alten Eichenbank Das ist ein schöner Platz, der gebührt ihr auch, der Guten Und neben ihr da ruhten sechs Kinder und drei Stuten Neunzehnhundertfünfzig, die Zeiten werden besser Und auch kleinen Leuten bleibt wieder Butter auf dem Messer Wirtschaft, Industrie atmen wieder rege Und von den Söhnen geht nun jeder seine eig'nen Wege Rudi ist zurück und hat ein bisschen Glück Er findet eine Stelle in der Eisenbahnfabrik Den Aufschwung im Blick, aber vierzehn Stunden Schicht Wischt sich mit schwarzen Händen seinen Schweiss vom Gesicht Ohne Tageslicht, nur schuften und machen Das Mädchen der Kantine hat ein herzliches Lachen Er nur staubige Sachen und ist eher verlegen Aber Liebe kommt oft auf einfachen Wegen Und einfache Wege sind manchmal Wege fürs Leben Es ist 'ne kleine Kirche, wo sie sich die Ringe geben Eine Kutsche, zwei Stuten, die Mähnen im Wind Und schon ein Jahr später kommt das erste Kind Wie das Leben halt so will, auf dem Hof wird's langsam leer Im Stall wird es still und Fritz atmet schwer Von den Kindern kommt ihn kaum mehr eines hier besuchen Nur manchmal am Sonntag mit Enkeln zum Kuchen Fritz sass auf der Bank und blickte auf den Berg Neben ihm ein Enkelbub, ein ziemlich kleiner Zwerg Der alte Mann sprach sorgenvoll: "Was wird aus all dem werden?" Und bald darauf begrub man ihn neben seinen Pferden Der Enkelbub verstand nicht viel, behielt den Rest für sich Das ist jetzt viele Jahre her, doch dieser Bub war ich - Menschen sind halt, wie sie sind, ich sag's euch, so wie's ist Tief in meinem Herzen - riecht's noch nach Pferdemist!